2015年7月5日星期日

《南德意志报》3日发表我的文章:Chinas Spiel



3. Juli 2015, 18:48 Uhr Gastkommentar

Chinas Spiel

Der Dalai Lama wird am Montag 80 Jahre alt. Für das Leid der unterdrückten Tibeter interessiert sich die Welt aber kaum noch ernsthaft.

Von Tsering Woeser

Seit nunmehr sechs Jahren verbrennen sich Tibeter, und keiner weiß, wann das ein Ende nehmen wird. Zuletzt übergoss sich am Morgen des 27. Mai die 36-jährige Bäuerin Sangye Tso mit Benzin und zündete sich an. Sie starb auf der Stelle, hinterließ zwei Kinder. Es war die 145. Selbstverbrennung, sie war die 24. Frau.

Ja, das ist ein Protest, ein politischer Protest. Wenn einer nur sterben wollte, es gäbe viele Wege. Diese Tibeter aber nehmen unerträglichen Schmerz auf sich, um ein Zeichen des Widerstandes zu setzen, sie führen ihren eigenen Körper in den Kampf mit einer riesigen tyrannischen Maschinerie. In Wirklichkeit sind die Selbstverbrennungen die Fortsetzung der Massenproteste, die im März 2008 ganz Tibet erschütterten. Die Proteste von 2008 waren die größten, die Tibet erlebte seit der Flucht des Dalai Lama 1959 ins indische Exil. Auch ein halbes Jahrhundert später lehnten die Tibeter die chinesische Herrschaft ab. Sie protestierten gegen die Unterdrückung ihres Glaubens, gegen die Zwangsumsiedelung der tibetischen Nomaden in Barackensiedlungen, gegen die ökologische Zerstörung durch Bergwerke und Wasserkraftwerke im Hochland, gegen die Schwächung der tibetischen Sprache in den Schulen, gegen die Massenansiedelung von Han-Chinesen - vor allem also gegen die von China forcierte Zwangsassimilierung der Tibeter. Peking reagierte auf die Proteste mit gewaltsamer Unterdrückung, ihre Propagandamaschinerie machte aus den Unzufriedenen "Terroristen" und "Separatisten", die dem Aufstieg Chinas schaden wollen. Sie schürten unter Han-Chinesen den Rassismus und den Hass auf die Tibeter.

Seit 2008 gleichen viele Orte in Tibet, auch Lhasa, einem besetzten Kriegsgebiet, es wimmelt von Checkpoints, Soldaten und Polizei. Seither ist es für Tibeter unmöglich, in größerer Zahl Proteste zu organisieren. Einzelne Demonstranten werden schon verprügelt oder festgenommen, wenn sie nur ein Flugblatt verteilen oder rufen: "Lasst den Dalai Lama heimkehren!"Die Prügel oder die Haft fürchtet kaum einer, aber sie fragen sich: Wer beachtet uns noch? In der tibetischen Tradition gab es Selbstverbrennung als politischen Protest nicht. Weil sie aber keinen anderen Weg mehr sahen, weil sie glaubten, nur noch ein solch schockierender Akt könne die Aufmerksamkeit der Welt finden, wählten Einzelne es als extremsten Weg des gewaltfreien Protestes - sie verletzen ja nur sich selbst.

Schnell fanden sie Nachahmer, und so stehen wir heute vor der mächtigsten Welle von Selbstverbrennungen in der modernen Geschichte. Und keiner sieht hin. Das Traurige ist, dass dieser Protest nach sechs Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung nur mehr eine Aktualisierung von Zahlen ist. Die Welt blendet uns aus. Zahlen ersetzen Schicksale.

Im November 2011 fragte mich ein französischer Journalist, ob ich diese Art von Protest nicht auch für nutzlos hielte. "Mag sein", sagte ich, "aber jeder Mensch hat seine Würde, und alles, wofür diese Menschen kämpfen, ist die Würde ihres Volkes. Was wirklich verstört, ist der Mangel an Verständnis. Wenn selbst Journalisten keine Ahnung mehr haben von den Selbstverbrennungen vietnamesischer Nonnen und Mönche im Jahr 1963, die den Buddhismus und das Völkerrecht verteidigen wollten. Wenn selbst Europäer nicht mehr wissen, dass sich 1969 ein 21-jähriger Student in Prag aus Protest gegen den Einmarsch der Sowjets verbrannte. Wenn selbst Chinesen nicht mehr wissen, dass sich Mönche des Famen-Klosters in Xi'an verbrannten zu Beginn der Kulturrevolution, aus Protest gegen den Vandalismus der Rotgardisten. Wie können wir dann auf Verständnis hoffen von den Bürgern der Welt für die Taten der 145 Tibeter im Tibet des 21. Jahrhunderts, die alles gaben, für ihren Glauben, und für die Freiheit?

Verstörend ist der Mangel an Verständnis für Selbstverbrennungen
Der von den Tibetern nach wie vor verehrte Dalai Lama feiert am Montag seinen 80. Geburtstag. Manche fragen: "Warum stellt er sich nicht öffentlich gegen die Selbstverbrennungen?" Ich weiß nicht, was die Welt vom Dalai Lama erwartet. Die Selbstverbrennungen sind ein Protest. Die Macht, diese Proteste zu stoppen haben nicht die Tibeter selbst, die hat auch nicht der Dalai Lama, der schon so oft seine Landsleute aufgerufen hat, sich nicht zu verbrennen. Diese Macht hat allein Chinas Kommunistische Partei, die mit ihrer Politik der Gewalt und Unterdrückung die Proteste erst geschaffen hat. Sie allein kann die Ursachen der Proteste beseitigen.

Heute aber zu schweigen zu dem, was in Tibet geschieht, bedeutet, ewig zu schweigen. Elie Wiesel, der Schriftsteller und Überlebende von Auschwitz, legte für die von ihm erlebte Katastrophe starkes Zeugnis ab; in seiner Dankesrede für den Friedensnobelpreis lässt er einen kleinen jüdischen Jungen fragen: "Kann das wahr sein? Wir leben doch im 20. Jahrhundert, nicht im Mittelalter. Wer kann denn solche Verbrechen zulassen? Wie kann die Welt da still sein?"

Wenn die internationale Gemeinschaft helfen möchte gegen die Unterdrückung in Tibet, dann sollte sie es nicht bei Worten belassen. Natürlich haben alle Nationen und Regierungen ihre Interessen, aber wir leben im 21. Jahrhundert. Können wir uns angesichts dieser grausamen Tragödie wirklich nicht aufraffen zum Handeln? Wenn Tibeter sich so in die Ecke gedrängt fühlen, dass ihnen nur noch die Selbstverbrennung bleibt, dann sollte das nicht nur eine Sache der Tibeter sein, dann geht das die Welt etwas an.

Der Künstler Ai Weiwei schrieb auf Twitter: "Tibet ist ein strenger Test, der uns allen, China und der Welt, die Prüfung abnimmt wie wir es halten mit Gerechtigkeit und Menschenrecht. Keiner kann sich wegducken." Sein Fazit: "Bisher gibt es keinen, der sich nicht schämen müsste."

Tsering Woeser, 49. ist eine tibetische Bloggerin und Schriftstellerin. Sie lebt in Lhasa und Peking, ihre Bücher sind in China verboten. Übersetzung aus dem Chinesischen: Kai Strittmatter

http://www.sueddeutsche.de/politik/gastkommentar-chinas-spiel-1.2549433

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